08 - Domaine Haas

Stärkung einer Kleinstadt im polyzentrischen Metropolitanraum Basel
Sierentz (FR) ist eine dynamische Gemeinde im Basler Metropolitanraum. Die schöne Landschaft, ein gutes Angebot an öffentlichen Einrichtungen sowie die Nähe zum Flughafen, zu Saint-Louis (FR) und zu Basel sorgen für den Zuzug neuer Einwohner*innen. Da die der Gemeinde zur Verfügung stehende Siedlungsfläche heute fast komplett bebaut ist, wurde eine Strategie für die Zukunft der städtebaulichen Entwicklung von Sierentz erstellt. Sie soll helfen, die strategische Position der Gemeinde in der trinationalen Region zu stärken.

Die Gemeinde Sierentz (FR) verfügt über eine strategisch gute geografische Lage im Metropolitanraum Basel. Sie befindet sich in einer landschaftlich attraktiven Mitte zwischen Sundgauer Hügellandschaft und der Rheinebene, unweit von grösseren Zentren wie Mulhouse (FR), Freiburg im Breisgau (DE) und Basel. Mit der Regio-S-Bahn-Linie ist sie an Mulhouse und Basel angebunden, ein Autobahnanschluss sowie die Nähe zum Flughafen machen Sierentz auch verkehrstechnisch attraktiv. Die Gemeinde zieht jedes Jahr neue Einwohner*innen an. Das Bevölkerungswachstum lag zwischen 2005 und 2015 bei etwa 3,5 Prozent pro Jahr. Innerhalb von zehn Jahren ist die Gemeinde von 3.000 auf 4.000 Einwohner*innen in 2019 gewachsen. Die neue Bevölkerungsstruktur ist multikulturell geprägt mit mehr als 40 Nationalitäten. Ein entsprechendes Kultur- und Bildungsangebot ist daher unabdingbar. In den vergangenen 20 Jahren wurden grössere städtebauliche Projekte realisiert, die nahezu die gesamte verfügbare Siedlungsfläche verbraucht haben. Das gegenwärtige Stadtbild in Sierentz zeugt vom Wandel eines ehemals ländlichen Dorfs zu einer Kleinstadt im periurbanen Raum. Das Ortszentrum besteht zu grossen Teilen aus traditioneller elsässischer Architektur; die ab den 50er-Jahren bebauten Gebiete charakterisieren sich durch Einfamilienhaussiedlungen und grosse Einkaufszentren. Der Verkehr in der Gemeinde ist von Autos bestimmt, wenngleich auch der Langsamverkehr ausgebaut wird. Angesichts dieser Tatsachen möchte Sierentz seine städtebauliche Struktur überdenken und das schnelle Wachstum mit seinen Möglichkeiten hinsichtlich der Siedlungsentwicklung und einem gewünschten Erhalt der Landschaftsräume in Einklang bringen. Das Ziel ist, den dörflichen Charakter zu bewahren und eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten.

Aus 3 mach 1 – drei Einzelprojekte als Nukleus für eine Gesamtstrategie

Das IBA Projekt Domaine Haas beinhaltete ursprünglich nur den Umbau einer historischen Scheune in eine Mediathek. Im Rahmen des IBA Prozesses wurden dann weitere Gebiete zur Bearbeitung identifiziert: der Bahnhof von Sierentz, der die Gemeinde an die grösseren städtischen Zentren anbindet, und eine Kiesgrube mit grossem landschaftlichen Potenzial. Schliesslich mündete der Planungsprozess nach diesen Schritten in eine räumliche Entwicklungsstrategie: «Sierentz 2030-2050».

Ein Ort für Begegnungen und kulturellen Austausch entsteht im Stadtzentrum von Sierentz

Der Umbau einer ehemaligen Scheune in eine trinationale Mediathek, gekoppelt mit dem Bau eines zweisprachigen Kindergartens, wurde in 2010 bei der IBA Basel als Projekt eingereicht. In einem 2,5 Hektar grossen Park im Herzen der Gemeinde sollte eine Kultur- und Bildungsstätte für die Bevölkerung der drei Länder entstehen. Die Gemeinde wollte damit den Einwohner*innen der trinationalen Region einen Ort für Begegnungen und kulturellen Austausch und den Bewohner*innen von Sierentz öffentliche Einrichtungen in fussläufiger Nähe bieten. 2013 begannen die Bauarbeiten, 2015 wurde die Mediathek «La Citadelle» eingeweiht. Für die Besucher gibt es ein vielfältiges Angebot: Buchlesungen und Veranstaltungen in deutscher und französischer Sprache sowie auf Elsässisch und eine trilinguale Leihstation. Zudem wurden Partnerschaften mit deutschen und Schweizer Bibliotheken geschlossen, um Medien auszutauschen oder gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren. Dazu trägt auch die Mitgliedschaft der Mediathek im Verein Biblio3, einem Zusammenschluss der öffentlichen Bibliotheken in der Region am Oberrhein (DE), bei.

Sanierung des Bahnhofs

Im Rahmen der Projektgruppe IBA Aktive Bahnhöfe soll der Bahnhof von Sierentz belebt und zu einem attraktiven und multifunktionalen Ort umgebaut werden. Der Regionalexpress TER Strasbourg-Basel hält hier zu Hauptverkehrszeiten halbstündig und verbindet die Gemeinde mit der trinationalen Agglomeration Basel. Wunsch war es, die Attraktivität und die Erreichbarkeit des Bahnhofs zu verbessern und damit den Berufspendler*innen einen Anreiz zu bieten, mehr öffentliche Verkehrsmittel wie den Zug zu nutzen. Neue Hinweisschilder mit Informationen zu den wichtigsten Örtlichkeiten in der Gemeinde wurden für eine bessere Orientierung installiert. Das seit Langem leer stehende Bahnhofsgebäude soll neu belebt werden. Die Gemeinde verhandelt mit der französischen Bahngesellschaft SNCF, der Eigentümerin des Gebäudes, über die Anmietung der Räumlichkeiten. Es sollen lokale Dienstleistungen angesiedelt werden wie ein Direktverkauf lokaler Produkte, eine Bäckerei und eine Rückgabemöglichkeit für die Medien der Mediathek.

Aus einer Kiesgrube wird ein Natur- und Naherholungsraum

2015 erwarb Sierentz nördlich der Gemeinde eine ehemalige Kiesgrube mit einem sieben Hektar grossen, ökologisch wertvollen Feuchtgebiet. Am Rande des Hardtwalds auf der einen und am Gemeinderand auf der anderen Seite gelegen, ist die Kiesgrube ein wichtiger Baustein für die Verbindung der ökologischen Korridore. Hier soll ein Naherholungsraum entstehen, der Naturerlebnis und Revitalisierung (DE) des Ökosystems vereint. Die ökologische Aufwertung wird dazu mit dem Bau eines Lehrpfads verbunden. Ein Lenkungsausschuss, bestehend aus verschiedenen institutionellen Partner*innen der drei Länder, begleitet das Projekt und hilft mit seiner Expertise bei den Umsetzungen. Unter Mitwirkung der IBA Basel entstanden 2018 ein Vorkonzept und ein Aktionsplan, mit welchem die Gebietskörperschaften von der Wichtigkeit des Projekts überzeugt werden konnten. Sie fassen die ökologischen Empfehlungen der ersten Studie von BUFO (einem Verein zur Untersuchung und Schutz der Amphibien und Reptilien im Elsass (FR)) zusammen. Die Frage, ob ein Teil des Projektes von einer Trägerschaft für interkommunale Zusammenarbeit («Syndicat Mixte des cours d’eau du Sundgau Oriental avec le syndicat des Rivières de Haute-Alsace») übernommen werden soll, wird momentan diskutiert und muss vor der Fortsetzung des Projekts geklärt werden.

Aktive Einbindung der Bevölkerung in Planung und Projektrealisierung

Die Beteiligung der Einwohner*innen spielte bei der Entwicklung der Projekte eine zentrale Rolle. Mithilfe von Befragungen, Workshops und Ausstellungen wurden Studien bereichert, bei Bürger*innenbeteiligungstagen konnten die Einwohner*innen direkt selbst Hand mit anlegen. An entscheidenden Momenten in der Planungsphase gab es spezielle, den Planungsprozess beeinflussende Beteiligungsformate. Die in 2015 erfolgte öffentliche Befragung zur Erhebung der Bedürfnisse und Erwartungen der Grenzgänger* innen im Gemeindeverbund Sierentz ergab, dass es Bedarf nach einer Aufwertung des Bahnhofs sowie mehr Naherholung und Sportmöglichkeiten in der Natur gab. Dies war Anstoss zu den weiterführenden Projekten am Bahnhof und in der Kiesgrube. 2016 veranstalteten Architekturstudenten im Rahmen des IBA Hochschullabors eine Reihe von Workshops mit den Gemeinderatsmitgliedern sowie der Bevölkerung. Während einer Woche trafen sich in der Mediathek «La Citadelle» die Sierentzer*innen mit den Studierenden, um gemeinsam über die Zukunft der Gemeinde nachzudenken. Die Studierenden entwickelten daraus städteplanerische Leitbilder und konkrete Bebauungsideen, die den Bürgermeister von der Notwendigkeit einer räumlichen Entwicklungsstrategie überzeugten. Die Arbeit mit den Studierenden gab den Impuls für die 2018 in Auftrag gegebene räumliche Entwicklungsstrategie «Sierentz 2030-2050». Sie sollte den Grundstein für eine langfristige, kohärente städtebauliche Strategie legen. Im Zentrum der Studie standen verschiedene städtebauliche Fragen: die Belebung des Stadtzentrums, Langsamverkehrsinfrastruktur, Nachverdichtung, Begrenzung der Zersiedelung, Funktionsmix und Freiräume. Die Studie zeigt die zukünftigen räumlichen Herausforderungen und Möglichkeiten auf und definiert kurz- und langfristige Prioritäten. Der auch hier partizipative Ansatz sah dabei für jede Studienphase einen Workshop mit den institutionellen und wirtschaftlichen Stakeholdern der Gemeinde Sierentz vor. Eine Ausstellung in der Mediathek zu den möglichen Entwicklungsszenarien gab der Bevölkerung die Möglichkeit, ein Feedback zu formulieren. Die Ergebnisse der Entwicklungsstrategie werden Schritt für Schritt in die bestehenden Planungsunterlagen, wie zum Beispiel den Flächennutzungsplan, integriert. So kann gewährleistet werden, dass die Leitideen realisiert werden.

Sierentz 2050

Sierentz im Jahr 2050 bedeutet, das Gemeindegebiet und sein kulturelles Erbe aufzuwerten, neue Einwohner* innen willkommen zu heissen und die trinationale Dynamik effektiv für die eigene Entwicklung zu nutzen. Es bedeutet auch, Ackerflächen und Artenvielfalt zu schützen sowie den Langsamverkehr zu fördern, und es bedeutet ebenfalls, sich mit der Bevölkerung auszutauschen, mit ihr gemeinsam Entscheidungen zu treffen und zukünftige Projekte zu gestalten. Von 2020 bis 2050 wird Sierentz aktiv an der städtischen Erneuerung arbeiten. Die Siedlungsstruktur wird an die Herausforderungen des Wachstums der Gemeinde angepasst. Geschichte, Kultur und Erbe sind aufgewertet. Das Industrie- und Gewerbegebiet wurde durch einen neuen Nutzungsmix gestärkt. Im nördlichen und südlichen Gemeindegebiet befinden sich durchmischte Quartiere. Das Gelände der Domaine Haas ist ein wichtiger und von der Bevölkerung der drei Länder gut frequentierter Ort in der Gemeinde. Der Bahnhof ist zu einer attraktiven dynamischen Mobilitätsdrehscheibe geworden. Er bietet verschiedene Dienstleistungen für Reisende – Kaffee, Gebäck, einen Gemüseladen, etc. Zu Fuss und mit dem Rad von der Innenstadt und den anderen Vierteln aus ist er sicher zu erreichen. Die attraktiven am Hang gelegenen Naturräume, die das Landschaftsbild von Sierentz prägen, konnten erhalten werden. Der Fluss Sauruntz wurde renaturiert, seine Ufer wurden ökologisch aufgewertet, Freizeitnutzungen integriert. Die Kiesgrube ist ein artenreiches, von allen Einwohner*innen frequentiertes Naherholungsareal geworden. Die Beziehungen zu den Nachbargemeinden wurden verstärkt, Serviceeinrichtungen und Infrastrukturangebote zusammengelegt und gemeinsam genutzt. Sierentz hat einerseits seine dörfliche Lebensqualität bewahrt, andererseits hat es sich in die Dynamik des Metropolitanraums eingefügt und seine Position in der trinationalen Region gestärkt.

Perimeter

Gemeinde Sierentz (FR)

 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der IBA Fachpublikation «Gemeinsam Grenzen überschreiten».